(Triggerwarnung: Frühgeburt)
Ich hatte bereits in meiner Risikoschwangerschaft bei vermehrten Ausfluss die Sorge eines frühzeitigen Blasensprungs. Und ich suchte auch zwischen meinen Kontrollterminen, die ca. alle sieben Tage stattfanden das Krankenhaus auf. Als ich dann eines Tages in den Morgenstunden auf die Toilette musste, wusste ich: Jetzt ist es kein Fehlalarm, das ist jetzt der Blasensprung – ich war zu diesem Zeitpunkt in der 34 Schwangerschaftswoche. Ich weckte meinen Mann auf, rief die Rettung an und legte mich ins Erdgeschoß auf die Couch. Mein Mann kümmerte sich um meine bereits gepackte Krankenhaustasche und um unseren älteren Sohn, der dann auch aufwachte.
Im Krankenhaus angekommen, wurde bestätigt, dass es sich um Fruchtwasser handelte und ich wurde sofort an einen Wehenhemmer angeschlossen und erhielt eine Lungenreife-Prophylaxe. Die Wehen begannen und wurden trotz Wehenhemmer zum Abend hin immer stärker. An diesem Tag war ich mit vielen verschiedenen Hebammen konfrontiert. Einige waren sehr einfühlsam und hilfreich in diesen angstbesetzten Momenten, andere eher schroff und gefühlt genervt von mir. Mein Mann war so schnell er konnte zu mir ins Krankenhaus gekommen, nachdem er unseren älteren Sohn gut bei den Großeltern untergebracht hatte. Er war eine riesengroße Stütze für mich.
Die Wehenabstände wurden immer kürzer und die Wehen intensiver. Es wurde mir vermittelt, dass ich noch einen Tag durchhalten solle, damit die nächste Lungenreife-Prophylaxe Wirksamkeit hat. Ich war emotional am Ende, machte mir riesige Sorgen um mein Kind und wurde mit Aussagen von einer Habamme konfrontiert, dass das ja jetzt echt nicht so schlimm sein kann, weil man die Wehen nicht wirklich am Wehenschreiber sehe. Ich erhielt neben der Wehenhemmerinfusion noch Tabletten im Abstand von zwanzig Minuten, die auch nicht halfen. Zu diesem Zeitpunkt wurde ich immer unsicherer, ob es nicht besser wäre, der Natur freien Lauf zu lassen und mein Baby auf die Welt zu bringen. Die Ärzte entschieden aber, dass ich noch eine zusätzliche wehenhemmende Spritze erhalten soll – diese hatte es in sich: Mein Herz begann heftig zu schlagen, ich hatte das Gefühl, dass ich keine Luft mehr bekomme und ich dachte bei mir, dass sich wohl eine Panikattacke ähnlich anfühlen könnte. Ich brach in Tränen aus, war außer mir und hatte dann das Glück, auf eine Hebamme zu treffen, die genau wusste was ich brauchte: Einfühlungsvermögen und Bestärkung. Sie massierte mir die Füße mit einem Öl, stellte mir in Aussicht, dass ich nochmal duschen gehen könne und sagte wortwörtlich, authentisch und energisch: „Du schaffst das, du bist eine Mama!“. Das ging mitten ins Herz. Danach wurden die Wehen weniger, mein Mann wurde Heim geschickt und ich kam auf ein Geburtenzimmer.
Ich konnte etwas schlafen, während ich durchgängig am Wehenhemmer hang und regelmäßig noch zusätzlich Tabletten einnahm, um die Geburt zu verzögern. Gegen Mittag fingen wieder die ersten Wehen an, viel leichter als zuvor und in großen Abständen. Ich konnte sie gut veratmen und bekam am Nachmittag die zweite Lungenreife-Prophylaxe. Gegen späten Nachmittag wurden die Wehen wieder intensiver und ich wurde wieder auf die Geburtenstation gebracht. Eine jüngere Habamme, die merklich im Stress war nahm sich kaum Zeit für mich, hängte mich an den Wehenschreiber an und ließ mich in Summe stundenlang alleine. Ich war unsicher: Sollte ich meinen Mann wieder kommen lassen, ich fühlte mich allein und machte mir Sorgen, da es hieß, ich solle noch bis morgen Früh durchhalten. Die Wehen wurden intensiver und traten in kürzeren Abständen auf, laut der Hebamme waren diese aber nicht in diesem Ausmaß ersichtlich, ich erhielt nochmals diese schlimme Wehenhemmerspritze und es wurde mir gesagt, dass ich nun die Abstände zwischen den Wehen messen sollte. Dann wurde ich allein gelassen, allein mit meinen Sorgen, allein mit einem gerade verabreichten Hormoncoctail, allein mit meinen Emotionen. Unter Wehen, Tränen und Verzweiflung notierte ich die Wehenabstände in meinem Handy und schrieb meinem Mann, der bereits auf Nadeln saß. Die Wehen kamen zu diesem Zeitpunkt zwischen sieben und fünf Minuten und wurden immer intensiver. Ich hatte nur noch das Verlangen aufzustehen und meinem Baby zu helfen auf die Welt zu kommen. Ich hatte dabei weder die Sorge, dass es wieder – wie bei meiner ersten Geburt – zu einem Kaiserschnitt kommen würde, noch, dass es für mein Baby zu früh sein könnte… Ich informierte die Hebamme und sie zeigte Unverständnis hinsichtlich meiner Emotionen und ließ die Ärztin kommen. Nach der Untersuchung wurde mir der Pessar-Ring, der mir vor Wochen zur Stabilisierung der Gebärmutter eingesetzt wurde, entfernt und ich erhielt das OK, dass mein Sohn auf die Welt darf. Ich wollte schon aufstehen, nachdem ich meinen Mann angerufen und ins Krankenhaus gebeten hatte, als mir die Hebamme mitteilte, dass der Wehenschreiber nicht funktioniert hatte und ich nun nochmals 20 Minuten liegen müsse. Ich war verzweifelt, ich war genervt und extrem erleichtert, als endlich mein Mann kam und einfühlend für mich da war.
Dann war es endlich soweit: Ich durfte aufstehen, konnte die Wehen gut veratmen und wusste intuitiv, dass jetzt alles gut werden wird. Ich wurde in ein anderes Zimmer verlegt, orientierte mich und bat die Hebamme mir ein Tuch zum Halten zu bringen. Sie fragte mich ernsthaft, ob das wirklich notwendig sei und ich bestand darauf. Drei Mal darfst Du raten, was ich bis zur Geburt nicht erhalten habe…
Mein Mann stellte mir für die Atmosphäre ein Meerrauschen ein und ich konzentrierte mich auf mein Baby, darauf ihn zu begleiten, darauf selbst bei Kräften zu bleiben. Ich wollte noch in die Badewanne – was mir aber verweigert wurde, weil eine Frühgeburt nicht im Wasser auf die Welt kommen darf und weil ich zu diesem Zeitpunkt schon zu weit fortgeschritten war, mein Muttermund war bereits ca. 8 cm geöffnet. Ich hatte wiederholt das Gefühl, dass ich noch auf die Toilette muss und es kamen immer nur einzelne Tröpfchen. Nachdem ich die Wehen im Stehen nicht mehr so gut unterstützen konnte, bot mir die Hebamme an, mich auf die Lehne vom Bett zu stützen, was ich dann auch machte. Der Druck nach unten wurde mehr und mehr und ich sprach stöhnend aus, dass ich nicht mehr könne. Ich wurde zu diesem Zeitpunkt gut von meinem Mann und der Hebamme unterstützt. Ich delegierte meinen Mann, mich oberhalb des Steißbeins fest zu massieren, was mir in diesem Moment sehr half. Der Druck nach unten verringerte sich, nachdem ich eine riesen Fuhr Urin loswurde. Dann ging alles sehr schnell – die Hebamme delegierte mich, mich hinzulegen und mein rechtes Bein gegen ihre Schulter zu stemmen und animierte mich bei den Presswehen zu pressen und gegen ihre Schulter zu drücken. Ich glaube, ich hatte drei oder vier Presswehen, ehe mein zweiter Sohn auf die Welt kam… Als sein Kopf durch meine Vagina glitt, war es ein unbeschreibliches Gefühl: Ein Wunder und eine Selbstverständlichkeit zugleich. Spätestens in diesem Moment konnte ich mit dem Kaiserschnitt bei meinem ersten Sohn abschließen. Ich war erleichtert, ich war überglücklich und als mir mein kleiner Schatz auf den Bauch gelegt wurde, schnappte ich ihn intuitiv und wollte ihn zu mir auf die Brust legen. Die Hebamme unterbrach mich schreiend dabei und gab mir Bescheid, dass die Nabelschnur zu kurz dafür sei. Mein Mann durchtrennte die Nabelschnur, ich zog mein Baby auf meine Brust, streichelte ihn und sagte: „(NAME), willkommen auf dieser Welt!“ Ich hatte Tränen in den Augen und für einen Moment lang, stand die Welt still.